
Der „Anzeiger für das Fürstentum Lübeck“ ist im Advent 1918 voller Anzeigen, die Geschenkideen und Weihnachtsdeko anpreisen. (Graap)
Nach dem Ersten Weltkrieg herrschte in der Stadt Eutin Mangel, aber auch das Vergnügen kam nicht zu kurz.
Vor 100 Jahren erlebten die Eutiner ein Weihnachtsfest zwischen Hoffen und Bangen, zwischen Notrationen und Aufbruchstimmung. „Die Adventszeit ist deutlich geprägt vom Mangel. Viele Waren gibt es nur auf Bezugsschein, manche Produkte gar nicht. Gas wird stundenweise freigegeben. Aber die Leute kennen es nicht anders“, beschreibt Heimatforscherin Regine Jepp von der Bürgergemeinschaft Eutin die Situation wenige Wochen nach Ende des Ersten Weltkriegs.
So gibt es beispielsweise strenge Regelungen zum Brot- und Mehlverbrauch, für Butter oder Kohlen. Die Papierknappheit zwingt die Zeitung häufiger dazu, die Roman-Fortsetzungen wegfallen zu lassen. Kaum ein Zug fährt. Und der Arbeiter- und Soldatenrat gibt bekannt, Höfe in der Provinz Lübeck, die bisher „unrentabel für die Volksernährung gewirtschaftet haben“, unter Wirtschaftsaufsicht zu stellen. Immerhin gibt es in der Apotheke Hutzfeld bereits „Backpulver in Friedensqualität“.
Auch die Grippe grassiert in Eutin und fordert Todesopfer. Eine Privatschule schließt vorübergehend zum Schutz der Schüler. „Aber es gibt auch erste Pflänzchen der Hoffnung. Unternehmer finden den Mut, Geschäfte zu eröffnen. Handwerker sind wieder auf der Suche nach Lehrlingen. Und in die selbst zu Kriegszeiten rege gastronomische Szene Eutins kommt noch mehr Leben“, berichtet Jepp. Im Kino läuft „Dornröschen“. Zahlreiche Veranstaltungen befriedigen den Hang der Leute zum Spiritismus: „Selbst im Schlosshotel, dem ersten Haus am Platze, waren Veranstaltungen, die den Besuchern einen Blick in die Zukunft versprachen, beliebt. Manche Ehefrau hat sich wohl gewünscht, mit ihrem im Feld vermissten Mann in Kontakt zu treten“, meint Jepp.
Im Advent ist im Haus Sonneck am Kellersee „Kaffeetrinken in geheizten Räumen“, es gibt mit Torte, Kuchen und Pudding. Im Hotel Eutiner Hof ist jeden Sonntag Konzert. Der Kriegerverein veranstaltet eine Weihnachtsbescherung für die Kinder der Kameraden. Kaufleute und Kaufhäuser annoncieren ihre Weihnachtsausstellungen mit „praktischen Geschenkideen“ wie Kleidung und Toilettenartikel, aber auch Spielwaren.
Anrührend ist ein Spendenaufruf, eine „Weihnachtsbitte“ des Vorstandes der Elisabeth-Bewahranstalt: Für 60 bis 70 Kinder müsse der Gabentisch gedeckt werden, jedoch sei dies aus eigenen Mitteln nicht möglich. Freunde und Gönner werden um „Gaben aller Art und Geldspenden“ gebeten.
Auch die für den 19. Januar 1919 angesetzte Wahl zur Deutschen Nationalversammlung ist immer wieder Thema in der Adventszeit: „Das hat viele auch deshalb so beschäftigt, weil erstmals auch Frauen das Wahlrecht bekamen“, betont Regine Jepp. vg